Schlossruine Dwasieden bei Sassnitz auf Rügen

Gastbeitrag Ralf Lindemann

Vom wertvollsten Gebäude der Insel zur Ruine: Einst war die heutige Schlossruine Dwasieden das einzige Gebäude in Norddeutschland, welches aus massivem Sandstein, Granit und echtem Marmor gebaut worden ist. Taucht ein in die bewegende Geschichte und den literarischen Geist des einstigen Prunkbaus in Sassnitz!

Ein weißes Schloss auf Rügen

Schloss Dwasieden © Harro Schack Sagard

Erbaut wurde Schloss Dwasieden von 1873 bis 1877. Adolph von Hansemann, Inhaber der Disconto-Gesellschaft in Berlin (einer der reichsten Männer der Bismarckzeit und „Vorreiter“ der Deutschen Bank), gab dieses Bauwerk in Auftrag. Der Architekt war Friedrich Hitzig – ein Schüler von Friedrich Schinkel. Der Bau des Schlosses und die Gestaltung des 102 Hektar großen Parks kosteten vier Millionen Mark. Zur damaligen Zeit eine enorme Summe.

Architektur und Nutzung des Schlosses Dwasieden

Schloss Dwasieden © Archiv Ralf Lindemann

Das Schloss war ein quadratischer, zweigeschossiger Bau, an dessen Seiten sich Säulengänge befanden, die in offenen, tempelartigen Pavillons endeten. Auffällig am Schloss waren die beiden an den Eckseiten angeordneten Aussichtstürme mit pfeilerartig hervortretenden Wandstreifen, die das Gebäude überragten.

Nicht nur der Bau und die hochwertig verwendeten Materialien machten es zu einem Prunkbau, sondern auch die wertvolle Innenausstattung. Auch der gesamte Park Dwasieden war eine sehr gepflegte Anlage und wurde schon bei seiner damaligen Fertigstellung als einer der schönsten Parks in Norddeutschland angekündigt.

Geschichten aus dem Schloss Dwasieden

Schloss Dwasieden innen © Archiv Ralf Lindemann

Nach dem Tod Hansemanns verkaufte die Familie in den 1930er Jahren das Schloss an die damalige Gemeinde Sassnitz. Wenige Jahre später übernahm es die Kriegsmarine und richtete eine Entfernungsmessschule ein. Nach Kriegsende und im Zuge der sowjetischen Bodenreform folgte 1948 die Sprengung des einstigen Prunkbaus und Nutzung des Areals als Militärstandort.

Doch in Sassnitz-Dwasieden gibt es weitaus mehr als die Überreste des 1877 erbauten Schlosses, seines Marstalls und die Militärbauten. Wer weiß schon von den uralten hölzernen Schönheiten, den Buchen, Birken, Nadelgehölzen und Obstbäumen? Was im Schlosspark einst liebevoll gepflegt wurde, hat sich die Natur über viele Jahrzehnte in seiner Urwüchsigkeit zurückgeholt. Doch die vielen Geschichten, die das Schloss umgeben, bleiben erhalten.

Prominenter Schlossbesuch: Gerhart Hauptmann

Gerhart Hauptmann © Museum Erker

Am knorrigen Wildkirschbaum, der gleich neben dem „Schlossweg“ steht, sind einst Leute mit Rang und Namen vorbeigeritten. Einer von ihnen war der Dichter und Literaturnobelpreisträger Gerhart Hauptmann (1982–1946). Er bezog im Sommer 1928 für zwei Monate Quartier im Schloss.


Hauptmanns Urlaubsdomizil Sassnitz-Dwasieden

Eigentlich wollte Hauptmann diese Zeit auf seinem so sehr geliebten Hiddensee verbringen. Denn Hauptmann brauchte für sein künstlerisches Schaffen vier Orte in unregelmäßigem Wechsel, je nach seinem geistigen Befinden. Diese waren Hiddensee, die Elbhöhen bei Dresden (Hohenhaus), Oberitalien und das Riesengebirge. „Spürte er, dass der Strom seines Geistes am Versiegen war, packte er seine Koffer und fuhr an einen anderen Ort. Und siehe da, die Quelle begann wieder zu sprudeln.“

Doch 1928 zögerte Hauptmann zu lange mit der Reservierung des gewohnten Quartiers auf dem söten Länneken. Haus „Seedorn“ wurde an jemand anderes vermietet. Hauptmann war über diesen Umstand äußerst betrübt. Damit ihm das im nächsten Jahr nicht noch einmal passierte, sicherte er sich das Vorkaufsrecht für das Haus „Seedorn“ und erwarb es später für 32.000 Mark.

Wie der Dichter zu Dwasieden kam

Als Ausweichstätte verschaffte ihm Regierungspräsident Dr. Haußmann aus Stralsund für diesen Sommer das von Friedrich Hitzig erbaute Schloss Dwasieden im Nordosten der Insel Rügen. Das Gebäude stand in jenen Jahren vorwiegend ungenutzt und wurde zu gewissen Anlässen von seinem Besitzer Gerd von Oertzen (1910–1996), ein Nachfahre des ersten Schlossbesitzers Adolph von Hansemann, aus finanziellen Gründen zur Vermietung angeboten. Durch die vorherrschende Inflation konnten der Schlosspark und das kostbare Schloss nicht mehr im großen Umfang bewirtschaftet werden, so dass sich von Oertzen durch Vermietung und Verkauf finanzielle Entlastung versprach.

Das Schloss Dwasieden war ein fremder Ort für den Dichter Gerhart Hauptmann, der mit Sozialdramen wie „Vor Sonnenuntergang“ (1889) und „Die Weber“ (1893) bekannt wurde. Hier fand er auch den passenden Rahmen für die geplante Hochzeit seines 28-jährigen Sohnes Benvenuto (1900–1965) mit der Prinzessin Elisabeth Hermine Auguste Viktoria von Schaumburg zu Lippe (1908–1933) im Juli 1928: Gerhart Hauptmann und seine Frau Margarete verweilten nun schon einige Tage im Juli auf Schloss Dwasieden. Es war noch etwas Zeit bis zum Hochzeitstag. Hauptmann, regelmäßig von der Presse begleitet, wurde in der Schlagzeile im „Acht Uhr Abendblatt, Berlin“ am 13. Juli 1928 zusammen mit dem Schloss Dwasieden als „Ein Dichter-Sommerheim“ betitelt.

Warum sich Hauptmann in Sassnitz fremd fühlte

Aber schon zur Anfangszeit stellte sich bei Hauptmann ein mulmiges Gefühl ein. Was war es nur, was ihm hier fehlte? Wie bezaubernd das Schloss und seine Umgebung auch waren, Gerhart Hauptmann fühlte sich nicht wohl an diesem Ort. Es lag einfach daran, dass Hauptmann am besten arbeiten konnte, wenn er eine grenzenlose Freiheit verspürte – so wie auf der Insel Hiddensee, auf der er in alle Himmelsrichtungen einen weiten und freien Blick hatte. Ja, das gab ihm Kraft für sein Werk! Auch fehlten ihm auf Dwasieden Freunde. Menschen, mit denen er sich austauschen konnte. Ein unglücklicher Umstand für Hauptmann.

Arnold Gustavs, der Inselpastor von Hiddensee, war fünf Jahrzehnte lang einer von Gerhart Hauptmanns innigsten Freunden. Dieser kannte Benvenuto schon als Kind. Daher beauftragte Hauptmann den Pastor mit der Organisation für die kirchliche Trauung seines Sohnes mit der Prinzessin von Schaumburg zu Lippe.

Und mit dem Besuch Gustavs‘ auf Dwasieden hatte Hauptmann auch wieder einen geliebten Freund um sich herum. Als Gustavs auf dem Schloss eingetroffen war, klagte ihm Hauptmann sein Leid: „Immer nur die hohen Bäume um sich her. Nur ein schmaler Durchblick auf die See. Sehen Sie, da liegt gerade in der Mitte des Durchblicks eine Boje. Das ist das Einzige, was ich von meinem Arbeitszimmer aus sehe. Mal liegt die Boje nach links, mal nach rechts, je nach der Windrichtung.“

Hauptmann erlebte eine Zeit auf dem Schloss, als die Bäume auf dem Vorplatz schon sehr hochgewachsen waren. Bei Hansemann waren sie noch jung und er konnte in seinem Arbeitszimmer in der ersten Etage von Sassnitz bis hin zur Proraer Wiek blicken. An diesem Bild konnte sich Hauptmann seiner Zeit nicht mehr erfreuen.

Hochzeit im Schloss mit Hauptmann als Trauzeugen

Hochzeit Dwasieden © Museum Erker

Seit Wochen liefen auf Schloss Dwasieden umfangreiche Vorbereitungen für das große Spektakel und die Unterbringung der zu erwartenden Hochzeitsgäste lief auf Hochtouren. So wurde zum Beispiel die Säulenhalle zu diesem Zwecke geschmückt. Zur offenen Seeseite wurden rechts und links dicht aneinandergereihte Tannenbäume aufgestellt und der Speisesaal neben dem großen Empfangssalon für die Zeremonie zu einer Kapelle umgestaltet.

Die erste Trauung mit den Trauzeugen Gerhart Hauptmann und dem Regierungspräsident Dr. Haußmann fand am 31. Juli 1928 um 14 Uhr im Sassnitzer Standesamt statt. Am nächsten Tag wurde die Hochzeit auf dem Schloss gefeiert. Hier wurde um 13 Uhr die zweite, die kirchliche Trauung mit dem Pastor Arnold Gustavs vollzogen. Zu diesem Anlass kamen 40 geladene Gäste aus Familie und Freundeskreis.

 Nach der feierlichen Zeremonie begann die Feier an der Tafel im Empfangssalon des Schlosses. Das Essen hatte der Besitzer des „Preußischen Hofes“ in Greifswald und Pächter der dortigen Stadthalle, Johannes Karsten, ehemaliger Leibkoch des Königs von Griechenland, geliefert und leitete es mit Hilfe von drei Köchen persönlich.

Erich Ebermayer schreibt in dem Buch „Eh’ ich’s vergesse …“ von Dirk Heißerer (2005): „Die Hochzeit war auf Schloss Dwasieden auf Rügen in fürstlichem Stil gefeiert worden. Die etwa hundert geladenen Gäste, Hochadel, Kleinadel und prominente Bürger, gingen, das war originell, nach jedem der üppigen Gänge samt und sonders – bis auf einige Greise und Greisinnen – gemeinsam in der See schwimmen, zogen sich dann wieder Frack und große Toilette an, speisten den nächsten Gang – und wieder ging es unerbittlich in die Fluten.
So dauerte das Essen viele Stunden, bekam aber dank des Kalorienabbaus in den Pausen den Gästen ausgezeichnet.“

Arnold Gustavs Brief an Gerhart Hauptmann (Auszug)

„Hochverehrter Herr Dr. Hauptmann,
…  Daß Sie gerade mich zu der Trauung Ihres Sohnes ausgewählt haben, ist mir ein Beweis Ihres Vertrauens, das ich dankbar zu schätzen weiß. Das so schöne und harmonische Hochzeitsfest in Dwasieden wird mir und meiner Frau stets unvergesslich bleiben. Unser innigster Wunsch ist es, dass Ihr Sohn da den Grund zu einem dauernden, sich immer reicher entfaltenden Glück gelegt hat. Wir bitten Sie, ihm und seiner Frau Gemahlin unsere herzlichsten Grüße zu übermitteln. Die Größe der Summe, die Sie mir haben zugehen lassen, beschämt mich in Anbetracht der Geringfügigkeit meiner Arbeit, die ich in der Tat als einen Akt der Freundschaft zu Ihnen und Ihrem Hause aufgefasst habe.
…   Ach, wie gerne würden wir beide noch einmal nach Dwasieden kommen!
Ihre sehr ergebenen A. Gustavs u. Frau“.

Welch ein großer Irrtum! Gustavs‘ Wunsch ging nicht in Erfüllung. Die Ehe wurde schon nach drei Monaten für nichtig erklärt.
Gerhart Hauptmann formulierte das Ereignis später mit den Worten: „Ein liebenswürdiger Augenblick“. Alles andere herum sollte schnellst möglich vergessen werden. Aber so sehr er auch über diesen Umstand verbittert gewesen sein mag, so brachte der Aufenthalt auf dem Schloss Dwasieden fünf Jahre danach (1933) eine der reizvollsten dramatischen Dichtungen hervor: „Die goldene Harfe“.

Wie Hauptmanns Werk „Die goldene Harfe“ entstand

Dieses Stück ist in romantisch-klassizistischer Zeit und in Kreisen des hohen Adels angesiedelt, aber verwickelt in die Landschaft Rügens und Hiddensee. Das Schloss Dwasieden steht im Mittelpunkt des Handlungsgeschehens: „Erste Szene: Musiksälchen zu ebener Erde in einem alten reichsgräfischen Schloss. Türen ins Innere, Glastür und Fenster auf die Parkterrasse. Schöner Frühsommertag Mitte Juni.“ Oder: „Zweite Szene: Ein Saal im gleichen Schloss. Zweiflüglige, weitgeöffnete Glastüren verbinden mit einer Terrasse. Bemooste Sandsteinplastiken, Barockstil, schmücken die Balustrade. Dahinter die Baumwelt des alten Parks.“

Und mitten drin der knorrige Wildkirschbaum. Vielleicht hat Hauptmann schon in seinem Schatten verweilt und so manche Zeile gedichtet? Vielleicht gab dieser Baum dem großen Genie der Dichtkunst Inspiration für eine Szene in einem seiner Werke? Ein Stückchen weiter heute die Ruine des ehemaligen Schlosses. Kaum vorstellbar, dass hier einst rauschende Feste gefeiert wurden und Leute mit Rang und Namen aus allen Herren Ländern ein und aus gingen. Der alte Kirschbaum hat die meisten sicher kommen und gehen sehen

Historische Exkursionen zur Schlossruine Dwasieden mit Ralf Lindemann

Schlossruine © Archiv Ralf Lindemann

Begleitet Ralf Lindemann, den Autor des Buches “Das weiße Schloss am Meer”, zur Ruine des 1948 gesprengten Prunkbaus bei Sassnitz. Es finden regelmäßig Führungen statt. Alle Touren finden Ihr auch im Veranstaltungskalender, in der Rügen-App und im Urlaubermagazin.

Das Schloss Dwasieden gehört zu Rügens beliebtesten Lost places. Lest hier mehr darüber.
Ralf Lindemann
Tel.: 015237900691
E-Mail: ralflinde@t-online.de
Website

Die nächsten Führungen zum Schloss Dwasieden

Gastautor

Ralf Lindemann

Ralf Lindemann hat kurz nach der Wende in Dwasieden bei Sassnitz seine Marine-Zeit absolviert und ist erst dadurch auf die Ruine des ehemaligen Schlosses auf dem Militärgelände gestoßen. Kaum jemand wusste von diesem Schatz, weil das Gebiet um das Schloss lange Zeiten stets hermetisch von der Außenwelt abgeriegelt war. So ist für ihn als ehemaliger Sassnitzer wie eine Berufung gewesen, die Geschichte über dieses Schloss in einem Buch wieder aufleben zu lassen.

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Eva-Maria

Eva-Maria

Mit ihrem geschulten Rügen-Kennerblick erkundet Eva-Maria gern mit ihrer Familie die ganze Insel und zeigt Euch ihre Lieblingsplätze. Im Südosten der Insel Rügen verbrachte sie ihre Bullerbü-Kindheit und ging dann zum Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaften nach Wien. Vom Land in die Stadt, vom Meer auf den Berg: nach diesem Kontrastprogramm hat sie wieder auf Rügen Fuß gefasst. Was sie mit Rügen verbindet? Heimat, die tägliche Dosis Meer und ein Gespür für die Eigenarten der Rüganer, die trotz kühlem Wesen ein großes Herz für ihre Insel haben.

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